Albertine Sarges

Albertine Sarges

Nominiert als Beste*r Newcomer*in 2021

Nach zahlreichen künstlerischen Zusammenarbeiten mit der italienischen Synthwave-Band Itaca, Holly Herndon und Kat Frankie, hat Albertine Sarges eine neue Band zusammengestellt: Die Sticky Fingers. Das selbstbetitelte Album The Sticky Fingers wurde am 29. Januar bei Moshi Moshi Records in London veröffentlicht und prompt zum BBC6 Music Album Of The Day gewählt. Albertine wuchs im Post-Wende-Kreuzberg auf und spielte ihr Album in Neukölln ein - und von hier aus erstrecken sich ihre Themen über feministische Theorie, Bisexualität und Gender-Stereotypen bis hin zu Mentaler Gesundheit. Diese Themen erkundet sie mit einem spielerischen und chamäleonartigen Antlitz: Von Viv-Albertine inspiriertem Post-Punk und kaleidoskopischem Dream-Pop zu rauen Gitarren und an Tune-Yards erinnernder Vokalakrobatik.

"Es gibt definitiv eine Bipolarität, sogar in den Liedern selbst", sagt sie. "Meine Musik kann unberechenbar sein, aber das ist einfach meine Natur! Sie hat ein Gefühl der Freiheit, das mein Publikum zu erreichen scheint. Es ist ein Ort ohne Angst. Ein Safe Space, dessen Gastgeberin zu sein ich unglaublich stolz bin."

Dieser Safe Space ist das Resultat einer Reise, die fast 15 Jahre gedauert hat. In ihren Zwanzigern fing Albertine an, akustische Folkmusik zu schreiben. Ihr Leben änderte sich jedoch, als ihr Vater nach langer Krankheit verstarb und sie mit Depressionen zu kämpfen hatte, die - in Verbindung mit mehreren Infektionen der Stimmbänder - ihr Selbstvertrauen beim Musik machen zerstörten. Erst mit ihrem Alter Ego in Gestalt der gut gelaunten italienischen Diva Ossi Viola und dem Synthie-Duo Itaca begann sie wieder zu ihrem kreativen Ausdruck zu finden. Nach und nach fand eine Öffnung statt: Sie spielte Keyboard für Kat Frankie, arbeitete mit Colin Self zusammen und schloss sich Holly Herndon als Teil des Vokalensembles der Experimentalmusikerin an. Es folgten regelmäßige Beiträge für Zines aus Berlin und Kollaborationen mit lokalen Musikern, mit einer Hingabe, die für sie jahrelang unerreichbar schien.

Die Sessions fassen Albertine Sarges und ihre Herangehensweise an die Kreativität gut zusammen: Sie ist eine Künstlerin, die sich ihren Sinn für Humor bewahrt hat und darauf achtet, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Ihre Musik ist aber auch eine Plattform, um sich selbst zu erforschen und zum breiteren gesellschaftlichen Diskurs beizutragen. Den Auftakt bildet der Slits-artige New Wave-Track Free Today mit einem Zitat der feministischen Schriftstellerin Sara Ahmed über die Relevanz der Theorie. Albertine verwendet dieses Zitat, um die Bedeutung der Popmusik für den gesellschaftlichen Diskurs zu implizieren.

"Ich habe mich entschieden, das Album so zu beginnen, weil ich denke, es ist wichtiger denn je zu lesen", sagt sie. "Wir müssen lesen und tief über die sozialen Medien hinaus eintauchen, die nicht für ein tiefgehendes Studium geeignet sind. Wir müssen um unsere Aufmerksamkeitsspanne kämpfen und uns selbst mit echtem Input versorgen."

The Sticky Fingers ist ein Album, das nicht nebenbei gehört werden will. Ein Werk voller Wendungen, emotionalen Höhen und Tiefen sowie Texten, die nahe an der Realität ihrer Urheberin und trotzdem so universal sind, dass sie auf einer viel breiteren Ebene Verbindungen schaffen können - ein Kennzeichen guter Popmusik.

Foto: Steffi Rettinger