Bulgarian Cartrader

Bulgarian Cartrader

Nominiert als Bester Act

Wer einen ungefähren Abriss von Daniel Stoyanovs Leben haben möchte, braucht sich bloss „Embrace“ anhören, das neunte von elf Stücken auf seinem Debut-Album „Motor Songs“. In achteinhalb Minuten erzählt Daniel aka Bulgarian Cartrader sein Leben: Der Halleyische Komet zieht über den Himmel, als er in Sofia, Bulgarien geboren wird. Gleichzeitig mit dem Kometen taucht eine „Slow Bullet“, eine „langsame Kugel“ auf, die den Protagonisten der Geschichte sein Leben lang verfolgen möchte, bis zum Moment, in dem sie ihn findet - und trifft. Eine langsame Kugel? Was zum…? Genau: Willkommen im Bulgarian Cartrader-Universum.

Das Debut-Album von Bulgarian Cartrader heisst „Motor Songs“ und ist das Ergebnis unzähliger Tag und Nächte im Studio, ist der Inhalt tonnenweiser Notizen - transkribiert in einer wöchentlichen Routine aus Handy-Listen: Machmal ein Wort, maximal ein Satz, zusammengetragene Melodien, Triggerwörter, etliche Bauchgefühle und Erinnerungen.

Hinter der Bulgarian Cartrader-Persona steckt das smarte Gehirn und poetische Herz von Daniel Stoyanov, dessen frühere Band Malky durchaus ein Begriff ist. Und dazwischen - immer am schaffen: Als Musiker und Songwriter für Solomun, Rapper Casper oder der Berliner Institution SEEED hat Daniel viel gespielt und gearbeitet - und „Salsa-Tänzer“ gibt er auch noch in seinem CV an.

Daniel hat sich mit Bulgarian Cartrader eine Persona geschaffen, die ihm in erster Linie Spass macht, jedoch auch viel therapeutisches Potential hat:

"BCT ist eine Rolle, ein Charakter, der aber komplett auf meiner Persönlichkeit basiert. Manche Sachen sind vielleicht etwas ins Groteske überzogen, damit ich selber entspannter bin. Je mehr ich sowas deformiertes - zum Beispiel etwas macho-haftes - raushole durch den Charakter, desto weniger ist das anschließend in meinem System drin. Den Humor, mit dem ich den Charakter sympathisch machen will, konnte ich vorher nie in anderen Projekten einsetzen, aber genau das hilft mir auch. Als Selbstschutz. Der Weg ist so schwer und steinig - wenn man dabei nicht über sich selbst lacht, dann zerbricht man doch daran. So bleibt man unbeeinträchtigt von der Schwere des Weges.“

Der Weg hat Daniel Stoyanov aus seinem Geburtsland Bulgarien ins Westdeutschland der 90er geführt, aber die ersten Kindheitsjahre haben Spuren hinterlassen - und informieren seinen künstlerischen Ausdruck bis heute. So ist dann auch die Autoliebe keine Masche, sondern echtes Motoröl, das durch seine Adern fliesst und eine von MTV angelegte Musik-Enzyklopädie Bestandteil seiner enormen Referenz-DNA:

„Während meine Eltern an der Tanke gearbeitet haben, saß ich zuhause auf der Velour-Couch und schaute Privatfernsehen - es war wild und unglaublich spannend und überwältigend. MTV hatte auch etwas schockierendes, morbides. Als Kind hat man eine Neugier und Nähe zum Morbiden: Ich sah zu, wie das MTV-Logo von Würmern zerfressen wurde, Skelette darauf ritten und alles nach zerfließendem Plastik aussah. Das Nirvana Video mit seinem orange-kranken Licht, bei Beck rollte ein Sarg über einen Rasen - und es gab da diesen U-Boot-Song von U96, der mir eine Heidenangst einjagte. Dann wiederum konnte ich es kaum erwarten, dass der Song wieder lief. All das konnte ich nicht verstehen, aber um so intensiver und unbeschränkter fühlen.“

Und ein wiederkehrendes Motiv sind dann tatsächlich Autos:

„Diese geile Ästhetik von 80er und 90er-Autos - die Motoren, die Krümmer, so viele interessante Details. Dieser Übergang vom Kantigen ins Runde. Die Optik. Als Kind mit knapp drei Jahren gab es diese grauen Schühchen, die ich unbedingt immer tragen wollte - ich glaube, das haben viele Kids, ein ästhetisches Grundgefühl. Und das hat sich bei mir fortgesetzt mit den Autos. Ich finde die Form eines Passats, eines Mercedes sehr ästhetisch. Der Tankstellen-Chef meiner Eltern hatte ein 124er Coupé, ein absolutes Boss-Auto. Der Bäcker im Dorf war ziemlich reich und besaß einen der günstigsten Ferraris. Im Ort gab es eine Anhöhe, von der aus konnte ich gucken - einmal hab ich es geschafft, zu sehen, wie er aus der Garage rausfährt. Und das hat man dann im ganzen Tal gehört. Die ganzen Personen in meiner Umgebung hab ich mit den Autos verbunden, die sie fuhren.“

All diese cinemascopen Bilder, Sinneseindrücke und Gemütslagen findet man in den elf „Motor Songs“, die letztendlich durchaus autobiographisch sind.
Die Songs tragen eine unverwechselbare und ganz eigene Handschrift: Indie mit großem Pop-Appeal, der geradeaus rasante Smasher-Abfahrten fährt und uns gleich darauf auf verästelte Straßen und Wege durch Landschaften von purer musikalischer Schönheit mitnimmt. (...)

Sorgen darum, das diese eklektische Auswahl an Songs zu abgehoben daherkommt, braucht sich weder Bulgarian Cartrader noch das Publikum zu machen: Immer eingängig, immer nahbar und in die Beine fahrend ist der Sound der Platte. „Leicht delirant, ohne sich je bei jemandem anzubiedern“ hat das Reeperbahn Festival bewundernd reüssiert - gleich zweimal spielte BCT auf dem renommierten Newcomerfestival 2022 und räumte ab. Gleichzeitig ist jeder Song mit einem natürlichen Pop-Appeal gesegnet, den man sich nicht antrainieren kann.

Für Bulgarian Cartrader gibt es ein eigenes Koordinatensystem aus richtig und falsch, das für ihn vor allem in der Indie-Musik zählt: „Gute Indie-Musik ist eigentlich wie ein unmögliches Experiment: Man lehnt ein paar Gegenstände aneinander, aus die aus rein physikalischer Sicht garnicht auf- und aneinander halten dürften.“

Foto: Jan Kapitän