Glitterhouse Records

Glitterhouse Records

Nominiert als Bestes Label 2020

Ein Label aus Beverungen im idyllischen Oberweserbergland. Einwände? Sind nicht stets aus hinterwäldlerischen Wurzeln die schönsten, interessantesten und ehrwürdigsten Pflänzchen gesprossen?!? Es hat eine Sturheit hier, die man womöglich dringendst sein eigen nennen muß, um so lange durchzuhalten, dranzubleiben, vorzupreschen, Spaß zu haben.

Die nunmehr 32-jährige Geschichte von Glitterhouse Records begann mit der Gründung des legendären Fanzines „The Glitterhouse“, dessen Inhalt zunächst vor allem um 60´s Garage und Psychedelia, um Ausläufer des Punk, Weirdo-Folk oder artverwandte damalige Lieblingsmusiken der beiden Glitterhouse-Gründer Reinhard Holstein und Rembert Stiewe, kreiste. Zwei Jahre später war man für die ersten Vinylveröffentlichungen bereit: Die „Hipsters“ 7“-Single „Sound Of The Young Soul“ legte den Grundstein, die Compilation-LP „The Declaration Of Fuzz“ mit deutschen und internationalen Bands wie Blackberry Jug, Chesterfield Kings oder Boys From Nowhere, erlangte rasch Kultstatus. Es ging kultumweht und basisnah weiter mit Veröffentlichungen von deutschen Künstlern wie Surfin´Dead, The Strangemen oder Shiny Gnomes.

Heute oft firmenintern diskutiert wird die Frage nach dem Zündfunken, der Glitterhouse ermöglichte, dem eigentlichen Startschuß des Labels. Schwerlich zu eruieren – letztlich einigte man sich aber auf einen eher formellen Anlass. GLITTERHOUSE RECORDS, ursprünglich lediglich ein zeit- und kostenintensives Hobby, wurde 1984 durch simple Gewerbeanmeldung zu einem – eben – Gewerbebetrieb. Und das ist schon ganz schön lange Jahre her. Da darf schon mal zur einen oder anderen Laudatio angestoßen werden.
Eine Lizenzkooperation mit SUB POP aus Seattle startete 1987 und wurde im europäischen Raum zu der Ursuppe, aus der der Spät-Achtziger-Grunge-Hype entstieg: Zunächst Green River, dann unter anderem Mudhoney, The Walkabouts, Tad, die Supersuckers oder Seaweed, später Afghan Wigs, Spinanes, Codeine, Big Chief oder Pond und viele weitere Bands der cleveren Talentschmiede aus dem fernen Seattle brachten dem Beverunger Label neben weiterem Ruhm auch endlich hohe Auflagen. Die Kooperation mit SUB POP währte, zuletzt gar als gemeinsame transatlantische GmbH, sieben Jahre und wurde erst im Jahre 1995, in sog. „beiderseitigem Einvernehmen“ beendet. Parallel wurden von Beverungen aus die Produkte des amerikanischen Noise-Labels AMPHETAMINE REPTILE, etwa Helmet, Cows oder God Bullies, vermarktet (von 1988-1995) - so lange, bis man sich mit den musikalischen Inhalten von AmRep nicht mehr identifizieren konnte und sich konsequenterweise voneinander trennte.

Musikalisch gereift und weiterhin innovationsorientiert, konzentriert sich Glitterhouse selbst seit ca. 1994 auf neue Label-Richtungen. Zwar war über die Jahre auch das Stammlabel selbst zu einem ansehnlichen Artist Roster gekommen (Monster Magnet, Sylvia Juncosa, Bitch Magnet etc.), aber es war an der Zeit, dem Stil-Mix eine, wenn auch buntschillernde, Labelfarbe zu geben. Neben Alternative-Dingens und diversen amerikanischen Musiken gesellten sich in den letzten Jahren viele neue skandinavische und englische Signings zur Glitterhouse-Familie. Grandioser Pop (Midnight Choir, The White Birch), Indie-Electronica (i, Lilium, Ai Phoenix), Avantgarde (David Thomas & Two Pale Boys, Pere Ubu) Singer/Songwriter (Ben Weaver, Scott Matthew), wenn man so will „düsterer Contemporary” (Woven Hand, 16 Horsepower, Chris & Carla, The Walkabouts Dakota Suite, Savoy Grand, Willard Grant Conspiracy), Boheme-Rock (BigBang, The Great Crusades,) und swampy ElectroBluesNoise (Hugo Race & The True Spirit) und Indie-Rock (Lampshade, Washington, Seachange) umspannen das stilistische Feld des Houses Glitter.

Bis dato hat Glitterhouse eine stolze Historie von ca. 900 Veröffentlichungen vorzuweisen und zeigt auch weiterhin keine Anzeichen von Ermüdung. Heute umfasst der Labelkatalog ca. 130 aktive Titel in einem stilistisch zwar definierten, aber dennoch abwechslungsreichen Spektrum: Weder ein Gemischtwarenladen, noch ein reines Spartenlabel, hat Glitterhouse heute den Status als ein interessantes und relevantes, führendes Independent-Label in Europa gesichert.

Selbstredend ist GLITTERHOUSE mehr als die Summe seiner Teile. Ein Konzept ohne starres Konzept. Die Hauptdarsteller sind die Künstler, die Handlung ist ihr Werk. Inhaltlich so ungefähr alles zwischen Folk und Rock, komischer Alternative zu irgendwas, Indie-Rock pi, pa, po. Haben aber alle: Lied, viel Lied. Oder auch nicht. Und ihrem Label sind sie nie egal, es ist ihnen eine familiäre Insel im ach-so-brutalen Unterhaltungsmarkt. Die Künstler wissen, was sie an GLITTERHOUSE haben, sind doch sowohl der eiserne Wille zu langfristiger Aufbauarbeit, das Vergnügen an der eigenen Arbeit und die liebenswerten Trinkgewohnheiten der Labelmacher ebenso legendär wie ihre Erfahrung und Geschmackssicherheit. Und ihre Sturheit.

Auch unternehmerisch hatten und haben die „weltgewandten Bauern“ (ein Pressezitat) immer die Nase im Wind. So war GLITTERHOUSE RECORDS unseres Wissens nach das erste deutsche Indie-Label, das sämtliche inner- wie außereuropäischen Exportmärkte über Exklusiv-Deals in Eigenregie abdeckte, das eine eigene in-house Touragentur und ein London-Büro sein eigen nannte, das seinen Bands eigene Tour-Backlines, einen eigenen Tourbus und eine angestellte Tourbegleiterin zur Verfügung stellte. Das außerdem von Beginn an eine eigene Publishingabteilung vorweisen konnte. Nebenher findet im Glitterhouse-Garten jährlich das “Orange Blossom Special”-Open Air statt, ein kleines aber feines Festival, das als gelungener Gegenentwurf zu über-kommerzialisierten Großveranstaltungen gilt und vom Rolling Stone als „Bestes kleines Open Air Festival der Welt“ geadelt wurde.

Heute verfügt GLITTERHOUSE RECORDS übrigens über sechs angestellte Mitarbeiter und zwei Praktikant/innen - eine starke Truppe (öhem).

Ach ja, jemand wunderte sich einmal: „Das ist ja ganz schön eklektisch“. Wir verstanden „elektrisch“ und gaben ihm Recht. Wenn das Erkenntnisinteresse hinter dem musikalischen Forschungsprojekt „Labelphilosophie“ nicht so diffus und unzureichend mit „Qualität“ umschrieben wäre, würden wir tatsächlich behaupten, dass wir nicht übel sind. Weil unsere Künstler nicht saugen, sondern taugen. Könnte glatt das GLITTERHOUSE-Motto für dieses Jahrtausend sein.
Vertraut uns. Wir sind gut.

Foto: ​Ullrich Maurer