Nominiert als beste_r Newcomer_in 2019: Wargirl

Nominiert als beste_r Newcomer_in 2019: Wargirl

Wargirl

Long Beach, Südkalifornien. Gleich nebenan, in Los Angeles, scheitern die Träume. Hier kriegen die Leute ihr Leben auf die Reihe. Long Beach hat eine starke Arbeiterklasse, die Stadt steht für ethnische Vielfalt – und genießt sie. Dazu scheint die Sonne, der Strand ist fantastisch. „Eigentlich“, sagt Matt Wignall, „ist Long Beach das, was L.A. gerne sein will: ein weltoffener und kreativer Ort.“ Wignall lebt seit Jahren hier, betreibt ein Studio, findet altes Equipment, repariert es und sorgt dafür, dass es besser klingt als je zuvor. Er produziert Bands, zum Beispiel die Cold War Kids: Wignall nimmt mit ihnen Tracks wie „Hang Me Out To Dry“ oder „Hospital Beds“ auf, es ist ein Sound zum Niederknien. Oder Mando Diao, deren Album „Give Me Fire!“ er koproduzierte, als Engineer betreute und auch noch für das Artwork verantwortlich war. Interessante Frage: Warum hat ein Musiker mit diesem Verständnis von Klang und diesem genialen Equipment eigentlich keine eigene Band?

Jetzt hat er sie: WARGIRL. Nach ersten genialen Gigs, auch schon in Deutschland auf dem Clouds Hills Festival, und der grandiosen EP „Arbolita“ erscheint nun bei Clouds Hill das erste Album. Es heißt, wie die Band: WARGIRL.

„Die Idee, in einer Band mit vier Typen zu spielen und einer ist der Leadsänger, langweilte mich total“, sagt Wignall. Was er wollte, war ein wundersames Kollektiv, das dem Klang seiner Heimatstadt gerecht wird. The Sound of Long Beach: das sind die frühen Platten von Santana, Afrobeat-Aufnahmen von Fela Kuti, das Psychedelic-Meisterwerk „Forever Changes“ von Love, die 70s-Psych-Funk-Großmeister War (ebenfalls aus Long Beach!), dazu Reggae, Disco, Garagerock, Postpunk, und, und, und. „Eines Tages dachte ich mir: Man müsste Leute kennenlernen, um mit ihnen eine Band zu gründen, die das vereint.“ Dann ging er raus, in die Stadt, an den Strand – und merkte: Diese Leute kenne ich ja, ich muss sie nur fragen.

Samantha Parks ist die Sängerin: Tochter von James Lafayette Parks, Chef der 70s-Funk-Band Bull & The Matadors, vor allem aber eine begnadete Vokalistin, die beides kann: sinnlich klingen und den Sound nach vorne treiben. Tamara Raye spielt einen Bass so ungewöhnlich fordernd und groovend wie Tina Weymouth (Talking Heads, Tom Tom Club), Enya Preston spielt die Keyboards. Dann gibt es, ganz wichtig, zwei Perkussionisten: Erick Diego Nieto und Jeff Suri verschmelzen Disco mit Funk, Latin mit Afro, Pop mit Rock – nie selbstverliebt, immer auf den Punkt. Matt Wignall spielt Gitarre. „Gar nicht als Lead-Instrument, sondern als zusätzlicher Antreiber“, wie er sagt.

Diese Leute haben die Tracks von WARGIRL bis auf sehr wenige Overdubs live eingespielt, „wir sitzen dann wie Hippies im Kreis, verzichten auf Kopfhörer, schauen uns in die Augen und versuchen, die Musik zu erfühlen“, sagt Wignall. Gespielt wird für den Moment. Nicht für die Aufnahme. Und genau das kommt der Aufnahme dann zugute. Einige Tracks der Platte nahmen Wargirl in Costa Rica auf, Mats Björke (ehemaliger Keyboarder von Mando Diao) war mit dabei und half bei der Aufnahme, vor Ort war auch eine Bläsersektion, bestehend aus Musikerinnen. „Ich mag diesen weiblichen Touch unserer Musik“, sagt Wignall. Grundlage der Songs ist in der Regel der Beat: mal klingt er wie bei der Single „Poison“ nach Postpunkdisco, mal wie bei „How You Feel“ nach Phil Spector in einem kalifornischen Funkschuppen. Bei „Last Time“ ist der Rhythmus mysteriös und tropisch, bei „Voice Of The Mountain“ auf wunderbare Weise zugleich afro- und lateinamerikanisch, was sich nicht ausschließt – was man aber erst einmal hinbekommen muss. „Wir denken komplett grenzenlos“, sagt Wignall. Das Clash-Album „Sandinista!“ ist hier Vorbild: Das wirkliche Erbe des Punk sind doch nicht die Frisuren und Slogans, sondern die Gewissheit, dass man alles spielen darf, was man will.

„Egal, ob man uns sieht oder hört, wir sind immer dieser bunte Haufen: ethnisch, aber auch was die Geschlechter und Vorlieben betrifft. Wobei, das mag anderswo als bunt erscheinen, in Long Beach ist das ganz normal“, sagt Matt Wignall. „Niemand klingt wie wir, und doch klingen wir nach der Umgebung, aus der wir kommen.“ WARGIRL ist auch ein Plädoyer für Vielfalt und Offenheit, für eine Identität in der Heterogenität. Und damit genau die Platte, die diese Welt heute dringend braucht. Denn bunt sieht nicht nur besser aus – sondern klingt auch besser.

Foto: Matt Wignall