Sorry3000

Sorry3000

Nominiert als Beste*r Newcomer*in 2021

Sachsen-Anhalt: Was ist das denn nun schon wieder? Haben wir nicht schon genug unter deutschen Bundesländern gelitten? Ja. Deswegen machen die vier Hallenser Stefanie Heartmann, Frank Leiden, Bianca Stress und Joni Spumante von Sorry3000, die einem wie Slacker vorkommen, aber richtige Berufe haben, auch keinen auf Herkunftsbla, sondern sagen auf ihrem Debütalbum “Warum Overthinking dich zerstört” einfach, wie es ist, ganz normal: “Ich asche in ‘ne Flasche, ich sondiere das Gelände“ (“Vorstellung”).

Halle (Saale), das ist das interessantere Leipzig, und dort hat es 2016 angefangen mit der Gruppe, die ihre Musik “Real-Pop” nennt (und ja, man kann durchaus rummunkeln, dass damit vielleicht auch die Supermarktkette gemeint sein könnte). Jetzt sind sie endlich mit Audiolith zusammen und drehen das ganz große Ding. Gekonnt dringen sie ein in das
Wesen der Menschen und Orte innerhalb und an den Grenzen ihres Kosmos, oder: Neues aus der Zone. Gemeint ist hier allerdings die Tarifzone, denn sie langweilen uns nicht mit einem neuen Ostselbstbewusstsein. Vielmehr können die Geschichten auf “Warum Overthinking dich zerstört” (für uns Fans kurz: WODZ) in jeder deutschen Gegend spielen, wo zu viel los ist, um Provinzkitsch zu liefern und zu wenig abgeht für die geilen Stadtanekdoten. Also knallen sie uns den Alltagsshit so dermaßen in die Fresse, dass man endlich die Option hat, ihn mitzusummen, statt an ihm zu verzweifeln. Allein die erste Auskopplung “Nasenspray” wirft endlich ein Licht auf das schambehaftete, ja, totgeschwiegene Thema Nasensprayabhängigkeit. „Keiner hält ihn auf. Keine Rezeptpflicht!” Denn ja, auch das ist Punk, oder hat schon mal irgendjemand seinen Eltern von diesem Existenzproblem erzählt? Doch auch andere heiße Eisen bleiben nicht unangetastet:
Fahrradklau, Verschenkekiste, Unischeiße, unromantische Intellektuelle, die Überschätzung der Natur und das Endlosthema Fitness. Manch eine mag die Themenauswahl unglamourös finden, aber wer sich noch nie um zwei Uhr nachts eine Fanta aus dem Späti lüstern reingesoffen hat, hat ohnehin nie richtig gelebt.

Sorry3000 liefern uns all die vielen subtilen Lebenshilfen in wunderschönen Sätzen, für die wir sehr dringend freie Flächen auf den Wägen der Deutschen Bahn benötigen, weil sie sich da so gut machen würden, wie: “Komm mach mit wenn du auch fit bist. Wenn du nicht fit bist, machst du halt nicht mit”, “Als Reisender im ICE tut Sachsen-Anhalt niemand weh”, “Es ist nicht schlecht, es ist beschissen”, oder “Und obwohl er’s nicht so warm hat, fährt ein Student mit Schwimmbeutel und Fahrrad”. Das alles gibt’s mit musikalischer Untermalung, bei der man gar nicht mehr weiß, in welchem Jahrzehnt man eigentlich gerade ist. Synthieklänge, Indiegedonner, Oldschoolgeschrammel, Sprechgesang und auch vor Bläsern wird nicht Halt gemacht. Auch wenn sie als ihre Vorbilder Die Sterne, Tocotronic, David Bowie, Mina, Marlene Dietrich und Heinz Strunk nennen, werden sie sich sicher auch Vergleiche mit den Lassie Singers, Peter Schilling, Spider Murphy Gang, Östro 430 und Schnipo Schranke gefallen lassen.

“5 talking about this”, steht aktuell noch bei Facebook, wenn man die Bandseite aufschlägt (bei Insta läuft’s schon besser). Das wird bald explodieren. Steigt jetzt noch ein (in die Regiobahn) und findet heraus, welches verdammte Problem Frank eigentlich hat. Überlegt bloß nicht zu lange.

Text: Paula Irmschler
Foto: Lorenz Troll