GEWINNER Bester Act 2019: Apparat

GEWINNER Bester Act 2019: Apparat

Apparat

LP5 ist Apparats (alias Sascha Ring) erste Veröffentlichung seit dem 2013er Album „Krieg und Frieden (Music for Theatre)“ und folgt den letzten zwei Studioalben II und III (Monkeytown/Mute) von Moderat, jenes Trios, das Apparat zusammen mit Gernot Bronsert und Sebastian Szary alias Modeselektor gegründet hat.

Fragmente einer Sprache der Liebe

Es zittert und blitzt, knistert und treibt, man kann zart aus der Dunkelheit strahlende Wolken erahnen, hoch droben am Klanghimmel brennt ein elektrisches Feuer. Schließt man die Augen, sieht man langsam tanzende Lichter; doch beginnen die Pupillen zugleich zu flackern wie in einem hektischen Traum. Ruhe und Bewegung sind in dieser Musik kein Widerspruch mehr; sie kreist in sich selbst und treibt aus diesem Kreisen doch immer wieder Melodien und Motive, Bilder und Rhythmen hervor, die aus dem Ohr nicht mehr fortgehen wollen.

Seit fast zwei Jahrzehnten gehört Sascha Ring zu den prägenden Protagonisten der elektronischen Musik in Deutschland. Unter dem Namen Apparat hat er wie kein anderer die Verschränkung zwischen programmierten Klängen und analogen Instrumenten erkundet und variiert; in dem Trio Moderat (das er gemeinsam mit Gernot Bronsert und Sebastian Szary alias Modeselektor gegründet hat) hat er sein Wissen und seine Kunst in eine Ästhetik des Schwelgens und der Erhabenheit überführt. Das neue Album, das er uns nun als Apparat schenkt, ist erhaben und zart zugleich. Es findet Größe in kleinen Dingen und in unerwarteten Wendungen, es fügt musikalische Fragmente zusammen und leuchtet aus den Rissen dazwischen: Ohne Frage ist dies Sascha Rings bisher bestes Werk.

Für ihn ist es auch das Dokument einer künstlerischen Erkenntnis und Autonomie. „Ich habe die Platte nur deswegen so machen können, weil es Moderat gibt“, sagt er: „Weil ich in dieser Band eine große Bühne besitze und ein Medium für die großen Gesten – darum konnte ich Apparat als Projekt von diesem Anspruch entlasten. Ich bin nun sicher: Ich muss hier keine großen Pophymnen schreiben; ich kann mich in die Details versenken und in die Strukturen.“ Hymnisch ist diese Musik trotzdem, aber sie lebt nicht von der dramatischen Geste und der dramaturgischen Eskalation, sondern von zart ziselierter Klangknisterei und filigranem Fiepen und Fitzeln. Auch im Vergleich zu den bisherigen Apparat-Alben ist sie gleichsam komplexer und minimalistischer geworden. „Ich wollte eine kleine Platte machen“, sagt Sascha Ring, „das habe ich auch allen Beteiligten gesagt, dass sie nicht groß denken sollen. Pathos ist verboten!“

Beteiligte gibt es zuhauf: Wie die letzten Apparat-Werke, ist dieses wesentlich aus der Zusammenarbeit zwischen Sascha Ring und dem Cellisten Philipp Thimm entstanden; es sind aber auch Posaune, Trompete und Saxofon zu hören, eine Harfe, ein Kontrabass und andere Streicher. John Stanier, der wilde Watz von der Matherockgruppe Battles, spielt Schlagzeug; endlose Gruppenimprovisationen und opulente Orchestersessions liegen den Stücken zugrunde – auch wenn man sie oft nicht mehr zu hören bekommt oder nur als flatternde Hallfahnen im Wind.

Denn die Musik von Apparat: Das ist jetzt eine Musik des Anreicherns, des Weglassens und der Überschreibung; jede Melodie, jeder Sound ist zugleich ein Palimpsest. „Manchmal“, sagt Sascha Ring, „haben wir hunderte von Spuren aufgenommen und hinterher alles wieder auf ein paar Dutzend reduziert“. Doch sind diese „paar Dutzend“ so delikat ineinander verflochten, als ob es sich um Samples handelt, die man aus dem Zusammenhang reißt und wieder in einen neuen Zusammenhang wirft. Man hört hier jemandem zu, der auf das Eigene blicken kann wie auf etwas Fremdes, das es sich immer neu anzueignen gilt: Ich ist ein Anderer in der Musik von Apparat.

Vieles, was ganz einfach klingt, ist auch ganz einfach. Anderes ist hingegen hoch kompliziert. Harmonien entstehen und zerstäuben und finden sich wieder zusammen. Klänge verklumpen und verwehen in Wolken und flirren wie in einem pointilistischen Bild. Ein und dieselbe Melodielinie wird auf verschiedene Instrumente verteilt und wandert durch den Raum wie ein irisierender Schweif: endlose Verwandlung, unaufhörliches Werden; eine Kunst der Metamorphose, die doch nie in der Beliebigkeit endet oder im Chaos, sondern eine neue Form der inneren Geschlossenheit findet; eine Geschlossenheit, die sich weder aus klassischen Songstrukturen speist noch aus den Repetitionsprinzipien der elektronischen Musik. Es ist vielmehr eine Geschlossenheit, die aus dem Werden erwächst und aus dessen Weigerung, sich zu etwas Endgültigem zu runden. Die Musik, die Apparat uns auf diesem neuen Werk bietet: Das ist Musik, die uns ins Offene führt.

Jens Balzer

Foto: Phil Sharp